Baréz und Schuster Architekten Ingenieure Sachverständige
Baréz und Schuster Architekten Ingenieure Sachverständige

Lübeck

Standort: Lübeck

Leitidee und städtebauliche Einbindung

Die Bestandsgebäude des Vorklinikums befinden sich in einem dicht bebauten Konglomerat. Diese Situation fordert ein klares Ordnungsprinzip und homogenes Erscheinungsbild der zu sanierenden Gebäude. Vor diesem Hintergrund kann sich eine bunte, lebendige Vielfalt entwickeln.
Der Bereich des Vorklinikums wird durch eine übergeordnete, einheitliche Struktur räumlich klar gefasst, als prägnanter Teilbereich des Campus gestärkt und erkennbar. Das zusammenführende, aus allen Richtungen offene und einladende räumliche Netzwerk verzahnt als zentraler Baustein und neuer Orientierungspunkt - auch bei einer möglichen Erweiterung des Campus nach Süd-Osten - Landschaft und Campus. Rücksprünge und Höhenstaffelungen differenzieren das Volumen und akzentuieren die einzelnen Bereiche. Die verbindende Struktur wird auf die flacheren Bauten des Vorklinikums erweitert und integriert diese somit harmonisch in das neu entstandene, homogene Erscheinungsbild des Campusteils.
Das Hauptaugenmerk liegt auf dem Dreispann der Hauptgebäude und ihren Zwischenräumen, welche durch die neue Struktur qualitativ stark aufgewertet und für den gesamten Campus nutzbar gemacht werden. Durch die raumwirksame Struktur werden die Zugangssituationen aus den angrenzenden Campusflächen im Südosten und Westen gefasst und akzentuiert.
Die „rue intérieure" aus dem Atrium des Neubaus ZMSZ/CRIS wird als Promenade im räumlich gefassten Innenhof aufgenommen und als zentrale Nord-Süd-Achse fortgeführt. Teilbereiche der Erdgeschosszone der drei Bestandsgebäude werden, transparent und durchgängig gestaltet, dem gemeinschaftlichen, offenen Raum zugeschrieben.
Im Fokus der vielschichtigen Intervention stehen das Verständnis des Campus als Ort des Diskutierens und Austauschens und ein ganzheitliches Nachhaltigkeitsverständnis. Ökologische, ökonomische und soziokulturelle Aspekte finden in gleicher Weise Berücksichtigung.

Transformation

Die Gebäudehülle wird nutzbar gemacht und zu einem Teil des städtischen Raums und des urbanen Ökosystems: ein offenes räumliches Netzwerk integriert die Zwischenräume und lädt ein in eine multifunktionale, adaptive und flexibel nutzbare Zone zwischen Innen- und Außenraum - einen Raum der Möglichkeiten.
Neben Erfüllung der üblichen Kriterien der Nachhaltigkeit, also der ökologischen und ökonomischen, findet hier zukünftig auch der dritte und ebenso wichtige Aspekt der Nachhaltigkeit Raum: das soziokulturelle Geschehen.
Die Primärstruktur der Bestandsgebäude aus Stahlbeton und ebenso die charakteristische Form und Fassaden der Treppenhäuser werden komplett erhalten und bleiben unter der neuen Hülle aus einer selbst tragenden und aussteifenden Holzkonstruktion erkennbar.
So kann möglichst viel der bestehenden Bausubstanz erhalten bleiben und gleichzeitig ohne aufwendige Eingriffe die Adaption an die Grundrissanforderungen einer zukunftsweisenden Universität innerhalb der neuen Fassadenstruktur stattfinden. Forschung und Lehre finden in der heutigen Wissensgesellschaft nicht mehr in verschlossenen, unnahbaren Räumen statt. Die Universität der Zukunft lebt vom direkten, interdisziplinären und gesellschaftlichen Austausch, für den in den überholten Grundrissstrukturen der Bestandbauten keine Flächen vorgesehen sind. Die neue Struktur bietet zukünftig Begegnungsraum für genau diese ungezwungene, transparente Kommunikation und vernetzt somit auch das Universitätsgelände enger mit dem Stadtraum.

Mehrwert

Das grüne und lebensnahe Cluster kombiniert offene und geschlossene Räume, bietet vielfältig nutzbare Begegnungs- und Kommunikationsbereiche und Raum für zusätzliche Nutzungen. Gefasste und geschützte Höfe, vorgelagerte möblierte Balkone und Dachterrassen mit Gemeinschaftsgärten bieten qualitätvolle individuelle und gemeinschaftliche Freiräume, schaffen Möglichkeiten zur Aneignung. So können sich die Mitarbeiter:innen bei kleinen Pausen auf dem Balkon oder beim urban gardening mit Kollegen austauschen und Debatten können zukünftig im Freien stattfinden.
Intensiv bepflanzte Fassaden- und Dachgärten verbessern das Stadtklima und erhöhen die Lebensqualität. Sie wirken als natürliche Staubfilter, verbessern durch Verschattung und Verdunstung das Mikroklima signifikant und steigern das Wohlbefinden der Nutzer. Sie ermöglichen Biodiversität, modulieren die Lichtverhältnisse und unterstützen die Regenwassernutzung durch Rückhaltung von Niederschlagswasser.
Die räumliche Struktur schafft durch die Vergrößerung der kalten Oberfläche in großem Umfang geeignete Flächen für die Energiegewinnung durch Solartechnik und so für ein Plus-Energie-Konzept.

Identität

Die zukunftsweisende, neue Struktur mit grünen Höfen, vertikalen Gärten und Dachgärten verbindet Gebäude, Mensch und Natur. Als Reminiszenz an die historische Vorstadt Lübecks, geprägt von zahlreichen Gärtnereien, stärkt sie die Idee der von Grünräumen durchzogenen Campus-Hochschule als vielfältigen und lebendigen Ort der aktiven Aneignung und Kommunikation.
Die bestehenden Gebäudeteile werden in identitätsstiftender Weise zu einem eigenen Teilbereich zusammengeführt. Gleichzeitig werden die unterschiedlichen Funktionsbereiche innerhalb des übergeordneten Rahmens gestärkt und ausdifferenziert.
Die vielschichtige Struktur unterstützt den veränderten Charakter von Forschung und Lehre und schafft vielfältige Anlässe und Räume für Kommunikation, für informellen Austausch und Diskussion, einen Wissens-Basar.

Energie- und Nachhaltigkeitskonzept für CO2-neutralen Betrieb

Das Konzept setzt auf Energiebedarfsvermeidung und Low-Tech - auf Anlagen-technik wird weitgehend verzichtet zugunsten eines bioklimatischen Ansatzes.
Die neue, hocheffiziente Gebäudehülle wird durch einfache, aber dauerhafte und ressourcenschonende Komponenten additiv ergänzt. Natürliche Lüftung mit einem geringen Anteil mechanischer Grundversorgung sowie passive Maßnahmen zur Verschattung und zur optimalen Tageslichtnutzung ermöglichen eine dezentrale, individuelle und bedarfsgerechte Steuerung der Belüftung und der Lichtverhältnisse. Adaptive Solarpaneele an Fassaden- und Dachflächen dienen der Energiegewinnung und gleichzeitig dem Sonnenschutz.

Hocheffiziente Gebäudehülle:
Ein sehr guter Wärmeschutz der Gebäudehülle wir gewährleistet und die Minimierung des beheizten Gebäudevolumens und der thermischen Hülle führt zu geringem A/V- Verhältnis.
Der Fensterflächenanteils wird auf das effektiv nutzbare Maß reduziert und die „angemessenen" Öffnungsanteile der Fassaden variieren entsprechend der Himmelsrichtungen und der Nutzungen.
Durch konsequente Entkoppelung der Konstruktion der selbst tragenden Fassade vom Bestandsgebäude werden Wärmebrücken vermieden.

Low-Tech-(Energie-)Konzept:
Eine Freie Lüftung mit passiver Kühlung wird durch zentral gesteuerte, fassadenintegrierte Lüftungsklappen im Deckenbereich ermöglicht, die für einen ausreichenden, angenehmen Luftwechsel sorgen. Die Frischluft wird durch Überströmöffnungen in die Kernzone der Gebäude geleitet und über Lüftungsschächte, die sich den Kamineffekt dienlich machen, über Dach abgeführt.
Dieses Prinzip wird ebenfalls zur Nachtauskühlung genutzt. Der massive Rohbau bleibt freiliegend und wird als thermische Speichermasse genutzt. So sorgen die nächtlich ausgekühlten Bauteile über den Sommertag hinweg für ein angenehmes Raumklima. Zusätzlich können die Fenster in den Arbeitsräumen individuell geöffnet werden, was für eine erhöhte Nutzerzufriedenheit sorgt.
Die technische Gebäudeausrüstung bleibt sichtbar und damit zugänglich für künftige Wartungen oder Änderungen.
Eine fassadenintegrierte Tageslichtlenkung mit Lichtschwertern ermöglicht die optimierte natürliche Belichtung der Arbeitsplätze über die gesamte Raumtiefe hinweg. Der Strombedarf für Kunstlicht wird deutlich reduziert.
Intensiv bepflanzte Fassaden- und Dachgärten unterstützen passive Kühlung und sommerlichen Wärmeschutz
Die Vergrößerung der kalten Oberfläche und Fassadentiefe bietet mehr Fläche für Begrünung und Energiegewinnung durch Solartechnik als lichtdurchlässige Farbstoff-Solarzellen (Grätzel-Zellen) im Fassadenbereich. Der Solarstrom-Überschuss dient zur Versorgung anderer Einrichtungen auf dem Campus

Regenwasser-Management:
Intensiv begrünte Flachdächer bieten hohe Rückhaltekapazität (bis ca. 100 l/m²) und Regenwasserzisternen für Überschusswasser im Hofbereich bewässern mithilfe einer automatisch geregelten Tröpfchenbewässerung die Fassaden- und Dachbepflanzung.

Materialität

Die Baukonstruktion stellt einen entscheidenden Faktor für die Nachhaltigkeit des Gebäudes dar. In der neuen Gebäudehülle werden die Prinzipien der Nachhaltigkeit und des sortenreinen Konstruierens wahrnehmbar umgesetzt. Das Konzept zeichnet sich durch den bewussten Umgang mit Ressourcen aus.
Die Primärstruktur der Bestandsgebäude aus Stahlbeton wird komplett erhalten und mit einer selbst tragenden und aussteifenden Holzkonstruktion umhüllt.
Es werden nachwachsende und natürliche Baustoffe mit geringem Energieverbrauch bei Produktion und Verarbeitung eingesetzt. Primärer Baustoff sind Laubhölzer, überwiegend Buche und Eiche aus nachhaltiger heimischer Forstwirtschaft aus Schleswig-Holstein. Als Dämmstoff kommen ebenfalls Holzprodukte wie Holzwolle und Holzfaserplatten aus Restholz zum Einsatz.
Die reine Holzkonstruktion bietet wesentliche Vorteile. Der einheimische und nachwachsende Rohstoff Holz steht in ausreichender Menge zur Verfügung und ist zukunftsfähig. Seine Herstellung und Erzeugung von Holz erfordern wenig Primär-Energie- Einsatz. Holz ist CO2-neutral und bindet atmosphärisches Kohlendioxid. Außerdem weist ein sehr günstiges Verhältnis von Eigengewicht zu Tragfähigkeit auf und ermöglicht effiziente Tragwerke. Die geringe Wärmeleitfähigkeit von Holz bietet zudem bauphysikalische Vorteile und die Holzbauteile sind sortenrein trennbar und recyclebar.

Konstruktion

Das Fassadenraster von 1,20m und das Konstruktionsraster der freistehenden hölzernen Tragstruktur von 3,60m greifen das Raster der Bestandskonstruktion auf. Vorgefertigte nicht tragende Füllelemente aus Holz mit unterschiedlichen Anteilen opaker und transparenter Flächen werden in die tragenden Rahmen eingefügt. Geschlossene Elemente übernehmen Aussteifungsfunktion. Eine 35 cm starke Wärmedämmung aus Holzwolle wird direkt auf die Bestandskonstruktion aufgebracht. Der durch Brandriegel vertikal unterteilte Hinterlüftungsraum zwischen Bestand und hölzerner Fassadenkonstruktion dient dem Toleranzausgleich.
Die Tragkonstruktion basiert auf komplexen form- und kraftschlüssigen Holz-Holz-Verbindungen. Traditionelle Fügetechniken des Holzbaus werden weiterentwickelt und übersetzt für eine automatisierte Planungs- und Produktionsweise auf Abbundanlagen mit CNC-Fertigung. Ein hoher Vorfertigungsantrag ermöglicht eine wirtschaftliche Herstellung und Verarbeitung. Knotenpunkte basieren auf materialsparenden geometrischen Verschneidungen, Verbindungen mit Laschen, Zapfen und Lagesicherungen durch Holzdübel. Auf Verbindungsmittel aus Stahl kann komplett verzichtet werden. Durch die überwiegende Belastung durch Kräfte in Fasserrichtung kann zudem ein Großteil der Bauteile aus leimfreien Vollholz (KVH) erstellt werden. So wird im Sinne eines prozessorientierten Konstruierens ein sortenreiner Rückbau gewährleistet.

Stoffkreisläufe
Die modulare Typologie ermöglicht eine wirtschaftliche und nachhaltige Umsetzung mit hohem Vorfertigungsgrad und gewährleistet einen sortenreinen Rückbau in geschlossenen Stoffkreisläufen. Sie ist reparaturfähig, flexibel und anpassungsfähig. Zur Aufnahme der Toleranzen der bestehenden Gebäude erfolgt eine parametrisierte Planung und Fertigung. Jedes Bauteil erhält einen digitalen Materialpass und wird in einer digitalen Materialdatenbank erfasst. Dadurch wird die Möglichkeit einer künftigen Weiterverwendung geschaffen.
Die in Holz geplanten Bauteile sind unter Beibehaltung des modularen Prinzips grundsätzlich – in Abhängigkeit von den jeweiligen spezifischen Anforderungen an Tragfähigkeit, Dauerhaftigkeit, Brandschutz, Gewicht, klimatischen Bedingungen und Nutzung – in anderen Materialein ergänzbar, wie z.B. als hochfeste Bauteile aus Carbon-Beton oder recyclierten Kunststoffen.
Ebenso wird die komplette Fassade im Bereich der künftig außerhalb des beheizten Gebäudevolumens gelegenen Treppenhäuser erhalten. Die Aluminiumpaneele der bestehenden Fassadenbekleidung werden demontiert und gelagert und finden Verwendung für die ohne thermische Anforderungen konzipierten Fassadenbereiche der Technikgeschosse, als Sonnenschutzelemente und dienen ohne thermische Umformung als Rohstoff für die Herstellung der gekanteten Blechabdeckungen.

Brandschutzkonzept
In den Obergeschossen werden je Geschoss zwei Nutzungseinheiten unter 400 m² definiert, getrennt durch eine Brandwand. Die Einheiten sind somit frei und flexibel unterteilbar ohne notwendige Flure, es entstehen offene Kommunikationszonen. Die notwendigen Treppenhäuser an den Schmalseiten der Gebäude werden in nicht brennbarer Bauweise erhalten. Zusätzlich wird eine Brandmeldeanlage vorgesehen. Somit sind je Gebäude 2 voneinander unabhängige Rettungswege vorhanden. Der erste Rettungsweg aus allen Nutzungseinheiten wird baulich über einen der beiden Treppenräume dargestellt. In den Obergeschossen führt der zweite Rettungsweg über die benachbarte Nutzungseinheit (selber Nutzer) zum zweiten notwendigen Treppenraum. Die Erdgeschosse haben ausreichend ebenerdige Ausgänge ins Freie. Somit sind alle Rettungswege baulich sichergestellt. Die Rettungsweglänge wird in allen Geschossen eingehalten.
Die Berechenbarkeit des Holzes im Brandfall wird ausgenutzt durch den Nachweis des Feuerwiderstands der tragenden Bauteile der Fassade über Abbrandnachweise. Durch die Vergrößerung der statischen Querschnitte um das Maß der Abbrandrate kann auf eine Kapselung der Holzbauteile verzichtet werden. Dadurch ist es möglich den „warmen" Charakter des Holzes zu erhalten und die Konstruktion ablesbar zu machen.

 

Auszug aus der Beurteilung des Preisgerichts:

… "Ein Raumregal aus Holz umschließt und überspannt alle Bestandsbauten und schafft ein gleichermaßen faszinierendes wie irritierendes neues Bild der Universität. Dabei wird die eigentliche Aufgabenstellung einer Fassadensanierung souverän abgearbeitet. Eine hochgedämmte Holzfassade für die Labore und Büros steht frei vor dem konsequent erhaltenen Rohbau. Auch die Aufstockungen wurden als reine Holzbaukonstruktion geplant. Die neue Fassade in Verbindung mit den vorgelagerten Freibereichen des Holzgerüstes ermöglicht eine natürliche Verschattung und durch die Nachtauskühlung der geschützten Fassadenflächen eine Low-Tech-Lösung.

Das weit ausgreifende Raumgerüst ermöglicht sehr viele Photovoltaik-Elemente zusätzlich zur Dachfläche. Der Entwurf zeigt eine Vielzahl von Ideen von der Energiegewinnung, Konstruktion und Materialität bis zum Rückbau. Mit großer Kraft will der Verfasser dem Campus der Unieine neue, in die Zukunft gerichtete Identität geben…."

 

 

Projekt-Daten

Standort:  Lübeck

Bauherr:  Wettbewerb: Anerkennung